Ein Gespräch über Flucht und Zukunft

Wir haben im Dezember den tausenden Menschen gedacht, die bei dem Versuch, in Europa Zuflucht zu finden, zu Tode gekommen sind (zur Aktion).

Diesen Monat wollen wir nun einen Überlebenden, einem sogenannten „Survivor“, in einem dreiteiligen Interview zu Wort kommen lassen.

Mushtaba, der inzwischen mit uns in Reinickendorf auf dem Fußballfeld steht, hat uns in einem Interview von seiner Flucht berichtet.

Mit 12 Jahren floh Mushtaba aus Afghanistan. Mit der Familie seiner Tante reiste er 2011  zunächst in die Türkei und später alleine über die Westbalkanroute nach Deutschland. Heute lebt Mushtaba gemeinsam mit seiner Familie in Berlin.

 

„Es ist unmöglich in Ruhe und Sicherheit zu leben“ – Interview ║ Teil 1

Ein Gespräch über Flucht und Zukunft

 Afghanistan → Iran → Türkei

 

Gangway:  Wann und wo begann deine Flucht?

Mushtaba: Meine Flucht startete 2011. Ich fuhr zusammen mit meiner Tante und ihrer Familie in die Türkei. Mein Vater hatte zuvor mit meiner Tante gesprochen: „Wenn du in die Türkei gehst, nimm bitte meinen Sohn mit. Von dort aus kann er nach Europa weiterziehen.“

In Afghanistan ist immer Krieg. Es ist unmöglich in Ruhe und Sicherheit zu leben. Wenn du das Haus verlässt, um beispielsweise zur Schule zu gehen, weißt du nicht, ob du wieder zurückkommen wirst. Ich wollte aber unbedingt in die Schule gehen. Ich war ja erst 12 Jahre alt. Ich wollte etwas lernen und später einmal einen guten Beruf erhalten. Das Wichtigste für mich war meine Zukunft.

Wir sind also mit der Hilfe eines Schleusers mit dem Auto in den Iran gefahren. Und dann – ich erinnere mich nur grob – sind wir drei bis vier Stunden zu Fuß an die türkische Grenze gelaufen. Dort haben wir in einem Haus übernachtet und auf den Schleuser gewartet, der uns Bustickets besorgen wollte. Nach mehreren Tagen endlich kam der Schleuser zurück und wir passierten im Bus die Grenze in die Türkei.

Doch ich durfte in der Türkei nicht die Schule besuchen und konnte auch kein Türkisch sprechen. Ich wollte sofort weiter nach Europa!
Aber meine Tante hat mir nicht die Erlaubnis gegeben. „Du bist noch ein Kind“, hat sie gesagt, „du kannst nicht alleine fliehen“. Also bin ich in der Türkei geblieben.
Ich habe die Sprache gelernt und eine Arbeit in einem Lebensmittelgeschäft für Käse gefunden. Mein Chef war sehr nett und es ging mir langsam besser.

 

Gangway: Wie war das Leben in der Türkei für dich?

Mushtaba: Ich habe mich alleine gefühlt. Ich war das erste Mal von meinen Eltern getrennt. Wir haben manchmal telefoniert. Es war sehr schwierig. Ich habe auch meine Geschwister vermisst. Aber was sollte ich schon machen?!

Nach zwei Jahren hat mein Vater zu mir gesagt: „Du bist jetzt erwachsen. Wenn du willst, kannst du also nach Europa reisen. Das ist deine Entscheidung.“
Natürlich wollte ich! Als Kind hatte ich den Traum, eines Tages Deutschland zu besuchen. Mein Onkel lebte schon seit vielen Jahren in Deutschland. Er kam uns manchmal besuchen – im Flugzeug! Und zeigte uns viele schöne Fotos von Deutschland und Frankfurt, wo er wohnte.
Ich wollte nach Deutschland, zur Schule gehen und etwas Geld verdienen, um meiner Familie zu helfen und sie irgendwann nachzuholen.

Meine Eltern und Geschwister sind 2012 in den Iran geflohen. Sie wollten zu mir in die Türkei, doch das Geld reichte nicht aus. Also sind sie im Iran geblieben.

 

Gangway: Wie bist du von der Türkei nach Europa gekommen?

Mushtaba: Ich war insgesamt sechs Monate unterwegs. Es war sehr schwierig, vor allem alleine.
Meine Tante wollte mich nicht gehen lassen. Ich war ja erst 14 Jahre alt. Aber mein Vater sagte: „Ich kenne Mushtaba. Er kann das.“ (Mushtaba macht eine kurze Pause.) Eigentlich wollte auch mein Vater nicht, dass ich alleine nach Europa reise, aber er sah keinen anderen Weg.

 

+++ Fortsetzung folgt +++

Lies morgen in Teil 2, wie Mushtaba mit dem Schlauchboot nach Europa übersetzt.

 

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