Fachtag: Thema: Messie-Syndroms Stefanie 5. Januar 2012 Team Drop Out - Streetwork an Brennpunkten Hier ein paar Gedanken dazu Wenn Dinge sprechen könnten… …würden sie von ihren unterschiedlichen Erfahrungen mit Menschen erzählen. Dinge werden von Menschen gekauft und verkauft, geliebt, gehasst, weggeworfen und gesammelt. Die Beziehung zu Dingen prägt ganze Existenzen- sie können alles bedeuten, von einem Zugewinn an Freiheit bis hin zu existentiellen Verlusten. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass es gerade diese ungleiche Beziehung zwischen Mensch und Materie in unserer Gesellschaft bis in den Bereich geschafft hat, mit dem sich in der Regel Sozialarbeiter_innen, Psychiater_innen und Psycholog_innen beschäftigen.Immer häufiger ist in den Medien von Menschen zu lesen, die verwahrlost in Wohnungen oder alternativen Wohnformen leben. Manche davon sind so „zugemüllt“, dass nicht einmal die sanitären Einrichtungen zu erreichen sind. Man denke an Wohnungen, in denen es nicht mehr als einen Trampelpfad gibt, in denen sich Gegenstände bis zur Decke hin türmen, in denen es von Ungeziefer wimmelt, die mit Fäkalien verunreinigt sind. Wir alle kennen zumindest Bilder solcher Wohnungen. Doch selten erfahren wir mehr über die Existenzen ihrer Bewohner_innen. Es ist erstaunlich, wie wenig bewusst uns oft unser ambivalentes Verhältnis zu Dingen ist, bevor wir uns mit dem Thema „Messiesyndrom“ zu beschäftigen beginnen. Das Wort „Messie“ ist eine relativ neue Schöpfung der Selbsthilfebewegung in den USA, abgeleitet vom englischen Wort „mess“ – für Chaos. Wer oder was aber sind diese Menschen, die man „Messies“ nennt? Trotz erschreckend hoher Dunkelziffern – Selbsthilfegruppen gehen von bis zu 1,5 Mio. Betroffenen allein in Deutschland aus – gibt es bisher keine einheitliche Definition, keine Erwähnung im ICD 10 und kaum Fachliteratur ganz zu Schweigen von Spezialist_innen in den einschlägigen Fachgebieten. Das könnte damit zusammenhängen, dass die sogenannte „Organisationsdefizitstörung“, die oft pauschal als „Messietum“ bezeichnet wird, lediglich ein Symptom ist, das bei diversen, ganz unterschiedlichen Störungsbildern auftreten kann. Dass bedeutet, dass es sich um kein eigenständiges, einheitliches Krankheitsbild handelt. Um die Ursachen besser zu verstehen, sollte daher zunächst zwischen einem- aktiven Tun (z.B. maßloses Sammeln von Gegenständen, übermäßige Verknüpfung von Gefühlen und Erinnerungen an Gegenstände) und einem – passiven Geschehenlassen (Chaos ausgelöst durch Überforderung, z.B. ausgelöst von einer Depression mit einhergehender Antriebsschwäche) unterschieden werden. Zwei ganz unterschiedliche Tendenzen führen hier zum selben Ergebnis, das oft lediglich als „Messiesyndrom“ pauschalisiert wird.Eine Organisationsdefizitstörung entwickelt sich von Innen nach Außen. Während alle Welt sich auf die Wohnung stürzt, in der es offensichtlich drunter und drüber geht, und der Unordnung mit Müllsäcken und gutgemeinten Ratschlägen zu Leibe rückt, wird oft das eigentliche Problem übersehen: die Unordnung im Inneren, das Gefühl des Blockiertseins mit dem viele Messies über einen langen Zeitraum leben, Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die irgendwann durch Beziehung zu Gegenständen ersetzt werden. Viel zu oft geben sowohl Helfer als auch Betroffene resigniert auf, weil das Aufräumen an der Oberfläche, die Bereinigung des Offensichtlichen, oft nur kurzfristigen Erfolg bringt.Es gibt eine These, die einen Zusammenhang des Messiesyndroms mit einer Störung des Selbstwerts feststellt. Wenn jedoch gesellschaftlich Selbstwert durch Besitz definiert wird – was unterscheidet dann den „Messie“ der „wertlosen“ Besitz anhäuft vom Ottonormalverbraucher, der sich über Gegenstände wie Autos, Schmuck und ähnliches definiert? In der Regel wird der Besitz, Erwerb und Erhalt von Dingen in unserer Gesellschaft nicht als Störung angesehen. Insbesondere dann, wenn es sich um teure Dinge handelt. „Messies“, in vielen Fällen jedoch, erkennen eine Funktion in Gegenständen, die uns Durschschnittsmenschen verborgen bleibt. So kann es zum Beispiel sein, dass ein „Messie“ sein Herz an einen Haufen Streichholzschachteln hängt, aufgrund der scheinbar uneingeschränkten Einsatzmöglichkeiten, die er ihnen zuschreibt und von denen er vermutet, dass sie sein Leben in irgendeiner Weise bereichern könnten. Dafür hingegen gibt es gesellschaftlich relativ wenig Verständnis.Viele Messies sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass viele Menschen die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, möglicherweise unerkannt an einer derartigen Problematik leiden. Wir „Professionellen“ müssen uns dringend einige Fragen stellen um diese Menschen adäquat unterstützen zu können. Viel zu oft noch stochern Helfer im Dunkeln, wird an Symtomen herumgedoktert, aus Mangel der Kenntnis der komplexen Zusammenhänge – auf Kosten der Betroffenen. Es gibt zuwenig spezifische Angebote, die über das „Aufräumen“ hinausgehen. Darüber hinaus sollten wir uns nach den Ursachen fragen –auch den gesellschaftlichen. Es ist eine generelle Frage nach unserer Beziehung zu Dingen, die sich auf dem schmalen Grat bewegt, der Gewinn von Verlust von Lebensqualität trennt, diese Frage müssen wir auf einer größeren als der individuellen Ebene besprechen. Vielleicht könnten uns Dinge dabei helfen diese Fragen zu beantworten- Aber Dinge können nicht sprechen. Hinterlasse eine Antwort Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* Email* Webseite